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Dr. Michael Gervais spricht über die Einstellung, die hinter Höchstleistungen steckt

Der auf Hochleistungssport spezialisierte Psychologe Dr. Michael Gervais erforscht, wie Menschen die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit ausreizen können. Zu seinen Klienten gehören Olympia-Sportler und Fortune-100-CEOs. Für seinen Podcast Finding Mastery spricht er mit weltweit führenden Persönlichkeiten, die auf ihrem Gebiet Höchstleistungen erzielen und Grenzen neu definieren.

Dr. Gervais arbeitet mit einigen der besten Sportler und Geschäftsleute der Welt zusammen. In dieser Umgebung geht es um alles. Er ist bekannt für seine Arbeit an Red Bull Stratos. Bei diesem Projekt half er Felix Baumgartner dabei, Angst und Klaustrophobie zu überwinden, damit dieser seinen Druckanzug anziehen und durch seinen Fallschirmsprung aus ca. 39.000 Metern Höhe Geschichte schreiben konnte.

Dr. Gervais stellte Techniken zur; Meditation, Achtsamkeit und Teambildung vor, von denen Pete Carroll, Trainer der Football-Mannschaft Seattle Seahawks, sagt, dass sie seinem Team im Jahr 2014 zum Superbowl-Sieg verholfen haben. Carroll und Dr. Gervais arbeiten auch weiterhin zusammen: als Mitbegründer von Compete to Create, einer digitalen Plattform, die Menschen mittels Mindset-Training dabei hilft, ihr Potenzial ganz auszuschöpfen. Uns erzählt Dr. Gervais, was er bei seiner Arbeit mit den Besten der Welt gelernt hat. 

Michael, du hast mit den leistungsstärksten Personen und Teams aus unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Was haben Menschen gemeinsam, die beste Leistungen erbringen?

Wir haben noch keine allgemeingültige Anleitung, die zur Bestleistung führt. Allerdings haben wir eine Reihe von Gemeinsamkeiten gefunden, die von leistungsstarken Personen und Teams geteilt werden. Diese Menschen wissen zum Beispiel immer, wie es in ihrem Inneren aussieht, und sie sind auf ihrem Gebiet unglaublich kompetent. Wir haben festgestellt, dass sie sich ihrer Gedanken, Gefühle und Empfindungen sehr bewusst sind und ihre Umgebung auf erstklassige Weise wahrnehmen, selbst wenn sie sich ändert. Wenn sie feststellen, dass ihre Handlungen, Gedanken oder sogar Worte nicht mehr ihrem Ziel entsprechen, passen sie ihren Kurs an. 

On-Elitesportler wie Javi Gomez stellen sich einer neuen Distanz oder einem neuen Wettkampf, um Grenzen zu überwinden und das Unbekannte zu entdecken. Was können wir von solchen Sportlern lernen?

Wir haben gelernt, dass die weltweite Elite an die Grenzen ihrer körperlichen, technischen und emotionalen Leistungsfähigkeit geht – und sich dann auf erstklassige Weise regeneriert. Diese Menschen richten ihr Leben bereits auf grundlegender Ebene darauf aus, jeden Tag bis ans Limit zu gehen. Dort liegt die Grenze zum Unberechenbaren, zum Unbekannten – dort steht man im wahrsten Sinne des Wortes auf Messers Schneide. Viele begegnen dem Unbekannten mit Ungewissheit; sie wissen nicht, ob sie die Fähigkeiten haben, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Das führt zu einem solchen Gefühl der Angst und Beklemmung, dass sie sich lieber etwas Angenehmerem zuwenden und in einer Welt bleiben, die sie kennen. Und das ist das perfekte Rezept für den Durchschnitt. Das Rezept für aussergewöhnliche Leistungen ist, an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu gehen und sich dann zu regenerieren. Uralte Traditionen und alle Religionen der Welt lehren uns, dass die Gegenwart naturgemäss unberechenbar und unbekannt ist, denn sie offenbart sich erst in diesem Moment. Im Jetzt zu leben ist daher genau das richtige Mittel, um die eigene Fähigkeit zu verbessern, mit dem Unbekannten zurechtzukommen. Und hier kommt das Training für die richtige Einstellung und für mehr Achtsamkeit zum Tragen. Davon profitieren alle, die ihr Potenzial voll ausschöpfen wollen.

Finding Mastery podcast: On Athlete Javier Gómez x Dr. Michael Gervais

Körperliche Leistung kann man trainieren. Funktioniert das auch mit der mentalen Komponente?

Es gibt nur drei Dinge, die wir als Menschen trainieren können. Wir können unsere Fertigkeiten trainieren, unseren Körper und unseren Geist.

Es gab Zeiten, in denen die weltweite Elite ihren Geisteszustand dem Zufall überlassen hat. Doch diese Zeiten sind vorbei.


Die meisten Menschen arbeiten zwischen 20 und 40 Stunden pro Woche an ihren Fertigkeiten. Das gilt für Personen mit einem traditionellen Beruf genauso wie für Profisportler. Doch für die meisten ist das nur Arbeit im technischen Sinne. Wenn man dann noch an den meisten Tagen laufen geht oder im Fitnessstudio trainiert, hat man auch seinem Körper vielleicht fünf Stunden gewidmet. Aber wie viel Zeit verwenden wir darauf, diszipliniert unseren Geist zu schulen? Indem wir uns zum Beispiel nur auf unsere Atmung konzentrieren? Meistens verbringen wir nicht annähernd so viel Zeit damit. 

Für den Anfang sind 10 Minuten am Tag schon eine bedeutende Investition in mentales Training. Können wir uns auf eine Stunde pro Tag steigern? Das wäre unglaublich, aber dafür muss man seinen Gesamtansatz in Bezug auf Arbeit und Training überdenken. Ich wage die mutige Prognose, dass wir in 15 Jahren nicht mehr so trainieren wie jetzt. Wir werden unseren Geist auf eine viel komplexere Art und Weise benutzen, um unsere Leistung zu verbessern.

Vor Kurzem hast du Project Reconnect abgeschlossen – 30 Meilen auf dem Paddleboard von Catalina Island bis Redondo Beach an der Küste Kaliforniens. Das hat sicher hohe Anforderungen an deinen Körper, deinen Geist und deine Fertigkeiten gestellt. Wie war diese Erfahrung für dich?

Mit Project Reconnect wollte ich unsere Vorfahren ehren, die an der Küste gelebt haben. Seit Jahren schon geniesse ich die Aussicht auf Catalina Island vor der Küste Kaliforniens. Vor Hunderten von Jahren kamen unsere Vorfahren im Kanu von der Insel zum Festland. Sie nahmen diese 30 Meilen lange Reise über die raue See auf sich, um für ihre Familien zu sorgen. Durch das Projekt konnte ich mich auf diese Zeiten besinnen und das Meer auf eine ganz neue Weise kennenlernen. Darum stand der Zustand des Meeres auch im Vordergrund des Projekts: Wir haben Geld für The Ocean Cleanup gesammelt. Die ganze Erfahrung hat mich verändert. Ursprünglich war das Ziel, die Strecke in sechseinhalb Stunden zu schaffen. Aber dann sind wir in verschiedene Strömungen geraten und haben am Ende achteinhalb Stunden gebraucht. Ich habe mich allein gefühlt, mental verausgabt, und hatte gleichzeitig mit Mutter Natur zu kämpfen, die unnachgiebig und erbarmungslos ist. 

Hat dir dein mentales Training dabei geholfen, diese Schwierigkeiten zu überwinden?

Ich trainiere meinen Geist seit 20 Jahren auf strukturierte Weise. Aber es ist nicht so, dass man eines Tages sagen kann: «Das war’s, ich bin fertig. Jetzt ist mein Geist widerstandsfähig und stark.» Es geht darum, sich dauerhaft und konsequent daran zu erinnern, öfter im Jetzt zu leben. Und bei schwierigen Bedingungen ist das besonders schwer.

Je extremer die Umgebung wird, desto stärker profitiert man davon, ein klares Ziel vor Augen zu haben, einen Sinn und Zweck. Wenn Schmerz und Anstrengung grösser und präsenter werden als das Ziel, geben wir ihnen nach. Aber wenn wir das Ziel klar und deutlich vor uns sehen, können wir beschwerliche Momente überwinden, um das Ziel weiter zu verfolgen und den Zweck unserer Unternehmung zu erfüllen. Ich war sehr dankbar dafür, dass der Sinn und das Ziel dieser Herausforderung schon frühzeitig definiert wurden, denn die Anstrengung war extrem.


Wie hast du dich auf die körperlichen und technischen Anforderungen dieses Projekts vorbereitet?

Ich war fünf Tage die Woche auf dem Wasser. Ich habe mit Peter Park zusammengearbeitet, dem legendären Trainer von Extremsportlern; er hat für mich ein Trainingsprogramm entwickelt. Wir alle brauchen hin und wieder einen Trainer. Niemand erreicht irgendetwas ganz allein. Daran ist immer eine Gemeinschaft beteiligt, eine Gruppe, irgendein System, das einen unterstützt. Von der globalen Elite können wir lernen, wie man eine solche Gemeinschaft aufbaut. Es geht darum, auf strukturierte Weise intensiv mit extrem kompetenten, extrem leidenschaftlichen und äusserst fürsorglichen Menschen in Kontakt zu treten, die uns gleichzeitig fordern. 

Bei deiner Karriere hast du dich dem Ziel verschrieben, die vielen verschiedenen Facetten der Leistung zu erkunden. Bist du immer noch von den Dingen überrascht, die du lernst?

Zu den Dingen, die ich lerne, gehört auch Folgendes: Wenn es ein Limit gibt, wissen wir nicht, was es ist. Die Zukunft der menschlichen Leistungsfähigkeit steht noch nicht fest. Das weist darauf hin, dass wir tief in uns die Fähigkeit besitzen, unsere Vorstellungskraft zu nutzen und einen Plan aufzustellen, der uns unserer Vision näherbringt. Wir wissen nicht, was das Limit ist, und dieser Aspekt überrascht mich immer wieder.

Mehr von Dr. Michael Gervais findest du auf findingmastery.net. Abonniere den Podcast Finding Mastery auf allen grösseren Plattformen und verfolge authentische Unterhaltungen mit weltweit führenden Denkern und Machern, die erzählen, wie sie ihr Leben strukturieren und ihren Geist schulen, um regelmässig Höchstleistungen zu erbringen.