

Zum ersten Mal überhaupt ist Karate an den Olympischen Spielen in Tokio ein Teil des Wettkampfprogramms. Vielleicht auch zum letzten Mal. Elena Quirici hat sich diese einmalige Chance nicht entgehen lassen und vertritt die Schweiz in Japan. On hat mit der Karatekämpferin über ihren olympischen Traum gesprochen.
Elena Quirici: Meine Mutter ist Karatelehrerin und hat den Sport meinen zwei älteren Brüdern beigebracht. Ich war zuerst immer nur Zuschauerin. Doch irgendwann wollte sich die kleine Schwester natürlich auch gegen die grossen Brüder behaupten und zeigen, dass sie stark ist und sich gegen sie wehren kann. Und notfalls auch zurückschlagen könnte (lächelt). Irgendwann habe ich dann gesagt, dass ich auch mittrainieren will. Seit diesem Tag ist Karate meine Leidenschaft. Ich bin früher auch geritten, aber irgendwann musste ich mich für eine Sportart entscheiden. Für mich war sofort klar, dass das Karate ist.
Elena Quirici: Eigentlich noch nicht so lange, Karate ist ja wahrscheinlich nur in Tokio eine olympische Disziplin. Ich kann mich noch gut an die Spiele in London 2012 und Rio 2016 erinnern, die ich im TV verfolgt habe. Da dachte ich schon oft, dass ich auch gerne dabei wäre – aber das ging halt nicht. Dann wurde aber entschieden, dass Karate in Tokio zum Wettkampfprogramm gehören wird und da fing mein Traum natürlich sofort an. Ich habe dann mein ganzes Leben darauf ausgerichtet, dass ich mich für Tokio qualifizieren kann.
Elena Quirici: Ich bin wahnsinnig stolz, dass ich die Schweiz an einem so grossen Anlass vertreten kann. Ich freue mich auch sehr für den Schweizer Karateverband, dass sie sogar eine Frau an die Olympischen Spiele schicken können. Gerade weil es ja wahrscheinlich das erste und das letzte Mal ist, dass Karate olympisch ist. Und ich bin froh, dass ich meiner Familie und meinen Liebsten etwas zurückgeben kann. Sie standen immer hinter mir und haben mich unterstützt. Jetzt kann ich sie stolz machen und wir werden diesen einmaligen Moment alle erleben können.
Elena Quirici: Karate ist Zweikampf mit viel Körperkontakt. Wenn man aber nicht gegen andere Karatekas kämpfen kann, verliert man schnell das Gespür für Timings, Distanzen und Reaktionen. Das hat am Anfang natürlich extrem gefehlt. Aber ich habe trotzdem versucht, viel Positives aus diesem zusätzlichen Jahr zu gewinnen. Obwohl es sehr, sehr hart war, gerade mental. Ich wusste nie, ob die Qualifikation weitergeht – und falls ja, wann. Durch diese Ungewissheit bin ich innerlich lange nicht zur Ruhe gekommen und konnte meinen Kopf und meinen Körper nie ganz entspannen. Gerade die innere Ruhe ist aber das Wichtigste beim Karate.
Elena Quirici: Ja, ich bin heute mental sicher stärker als vor einem Jahr. Und ich habe gelernt, dass man selbst in einer ungewissen Situation wie einer globalen Pandemie sein Ziel immer vor den Augen behalten sollte. Dann wird am Ende doch alles gut, selbst wenn es am Anfang vielleicht nicht danach aussieht. Wie gesagt, das ist meine Erfahrung, die ich 2020 für mich gemacht habe.
Elena Quirici: Seit dem ersten Lockdown finden alle Turniere ohne Publikum statt. Das war gerade am Anfang eine komplett ungewohnte Situation. Plötzlich gibt es in der Halle nur noch zwei Kämpferinnen, die Matte, einen Schiedsrichter und ein paar Offizielle. Gerade in einer Kampfsportart hört man dann plötzlich alles: den Atem der Gegnerin und ihren Coach Wort für Wort. Das ist mit Publikum anders. An diese neue Situation habe ich mich durch die Qualifikationskämpfe aber schon gewöhnt. Klar, der Kampf selbst ist nicht anders, aber es ist schon schade, dass keine Fans dabei sein werden. Aber am Ende gehe ich dort hin, um meinen Traum von einer Medaille zu erfüllen. Und den ganzen Support von meinen Leuten, meine Fans und meiner Familie, den spüre ich auch immer von der Schweiz aus an jedem Turnier.
Elena Quirici: Ich hatte und habe immer noch viele Vorbilder, die mich inspirieren. Ich suche mir bei anderen Athletinnen immer inspirierende Eigenschaften aus und stelle mir dann so mein ganz persönliches Vorbild zusammen. Das sind nicht immer andere Karatekas, viele kommen auch aus dem Kunstturnen. Das hat jetzt so direkt nichts mit Karate zu tun, aber gerade dort habe ich viele Vorbilder, die mich inspirieren.
Elena Quirici: Ja klar! Ich fahre nach Tokio, um zu gewinnen und will eine Medaille mit nach Hause bringen. Das ist mein Ziel und das stelle ich mir schon seit vielen Jahren so vor. Vielleicht gerade weil Karate vorher nie eine olympische Disziplin war. Wenn ich zum Beispiel die Kunstturnerin Simone Biles auf dem Podest sehe, denke ich: «Wow, was wäre, wenn ich auch dort oben stehen würde.» So motiviere ich mich noch mehr. Ich will die Schweizer Fahne auf das höchstmögliche Podest bringen.
Elena Quirici: Projekte zu planen und Pläne zu schmieden wurde durch die Pandemie ja sehr erschwert. Für alle Menschen, nicht nur für mich. Aber momentan bin ich einfach komplett auf Tokio fokussiert und geniesse jeden Moment dieser einmaligen Chance. Klar, ich habe mir auch schon ein paar Gedanken für die Zeit nach Tokio gemacht. Aber jetzt lebe ich erst einmal meinen Traum. Alles andere kommt danach.