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Trail Blader 2.0: Zachary Friedleys UTMB-Rückblick

Zachary Friedley läuft mit einer Prothese – und für einen inklusiveren Laufsport. Der Behindertensportler erzählt von seinem Erlebnis beim UTMB Trail Rennen und davon, wie er solche Events zugänglicher machen will.

Text von Zachary Friedley. Fotos von Andy Cochrane.

Meine Gedanken zum UTMB 2022


Seit meinem ersten UTMB-Rennen von Martigny-Combe nach Chamonix [MCC] im letzten Jahr hat sich sehr viel verändert.


Damals lief ich mein erstes Rennen ausserhalb der USA und mein Debüt als On Athlet. Ich habe das noch nie so klar gesagt, aber es war mit 2‘300 Metern Höhenunterschied über 40 Kilometer nicht nur das längste und härteste Rennen meines Lebens, sondern auch das bis dahin wichtigste.


Ich laufe mit einer Prothese inklusive Blade am rechten Bein. Die Blade war neu und mir blieben nur ein paar Wochen, um mich mit dem völlig neuen Bein vertraut zu machen. Ich war noch immer dabei, mich an das neue Gefühl und an neue Bewegungen zu gewöhnen. Ich habe die Cut-off-Zeit um 30 Minuten verfehlt.


Heute blicke ich anders auf meine Stärken. Vor dem damaligen MCC-Rennen hätte ich gesagt, dass ich bergauf nicht stark bin und mich auf die flachen Strecken und Abstiege freue. 


Heute ist fast das Gegenteil der Fall. Ich laufe starke Aufstiege und gut im Flachen. Die Abstiege sind anders, weil sich die Beziehung zu meinem Körper verändert hat. Ich kann meine Technik besser analysieren und sehen, welche Belastung sie im Körper auslöst. Ich weiss, was mich erwartet.

Neue Blickwinkel

Kilian Jornet postete zu Beginn des Jahres, wie er nach einem Versuch, den Mount Everest zu besteigen, nach Hause zurückkehrte. Er sagte, alles sei perfekt gewesen, aber den Gipfel habe er nicht wie geplant erreicht. Ich kommentierte den Post und erzählte, wie oft auch ich schon gescheitert bin und dass ich trotzdem weitermache. 


Es passiert selten, dass ich Beiträge auf Social Media kommentiere. Aber ich war ihm dankbar, dass er seine Erfahrung geteilt hat. Manchmal trifft man Entscheidungen aus dem Moment heraus. Dinge laufen nicht nach Plan oder liegen ausserhalb unserer Kontrolle. [Kilian brach seine Solo-Tour zum Gipfel des Mount Everest ab, nachdem ihn eine Lawine etwa 50 Meter bergab geschleift hatte.]


Es macht Mut, zu hören, dass ein grandioser Athlet wie er so ehrlich ist. Ich habe grossen Respekt für diese Herangehensweise; es geht darum, dranzubleiben und dadurch voranzukommen. 

UTMB 2023: Mit Coach Eric Orton

Die Vorbereitung auf das diesjährige UTMB läuft, als wären die Sterne auf meiner Seite. Und doch ist alles durchdacht: Ich habe einen neuen Coach, ein neues Bein und viel gearbeitet. 

Ich kenne meinen Coach Eric Orton schon seit ein paar Jahren [der Coach aus dem internationalen Bestseller «Born to Run»]. Ende 2022 habe ich ihn angerufen und gefragt, ob er offiziell mit mir zusammenarbeiten möchte. Wir würden wie Nerds über das Laufen sprechen, sagt meine Frau Meagan, wenn Eric und ich telefonieren. Ich bin wie ein Schwamm, der versucht, seine ganze Weisheit aufzusaugen.

«Ich bin zu 100 Prozent selbstbewusster in meiner Rolle und meiner Position als Athlet.

Ich hoffe nicht bloss, dass alles funktioniert – ich habe mein Team, einen Spielplan und auch eine Ersatzblade.»Absolute Immersion

Bei der Vorbereitung auf das MCC 2023 visualisiere ich nicht nur die Rennphasen, in denen alles nach Plan läuft, sondern auch die harten Momente und mögliche Fehler. Eric fragt: «Wie wirst du reagieren?Wie wirst du dich nach zehn Kilometern fühlen, wenn dein unterer Rücken oder dein Bein schmerzt und du deiner Zeit hinterherrennst?» Ich spiele alle Szenarien durch. 

Unvorhergesehenem zu begegnen und Lösungen zu finden gehört zur Faszination des Trail Running. Aber mein Ziel für dieses MCC ist die absolute Immersion. Ich will möglichst wenig Unbekanntem begegnen. 

Das Rennen hat acht Stationen, und ich werde jeden Quadratzentimeter der Strecke kennen. Auf halber Strecke, in Chamonix, habe ich ein Haus gemietet. Dort werde ich einen Monat vor dem Rennen leben. 

Seit über einem Jahr werde ich von On unterstützt und bin Teil eines Teams mit den nötigen Ressourcen, um das Beste aus Athleten wie mir herauszuholen. Ich bin aufgeregt (und dankbar), dass ich diese Erfahrung machen darf.

Neue Blade, mehr Kilometer

Eine neue Blade zu finden, ist für mich als Athlet eine der mühsamsten Aufgaben – die Dinger sind unglaublich komplex und teuer. Normalerweise halten sie nur etwa ein Jahr lang und kosten bis zu 50.000 US-Dollar. Die Suche voller Reisen, Anpassungen und Überarbeitungen kann mehrere Wochen dauern. 

«Ich nenne die neueste Version meiner Blade 2.0. Sie hat schon jetzt verändert, wie ich laufe.»

Letzte Woche bin ich beim Training innerhalb von sieben Tagen 80 km gelaufen. Das ist extrem viel.  Ich kenne keine anderen Sportler:innen mit einer Oberschenkelprothese, die diese Distanz auf den Trails zurücklegen.

Immer aktiv

Neben dem Training, meiner NGO [Mendocino Movement Project, eine Organisation, die Lauf-Events für Menschen mit Behinderung veranstaltet, unter anderem die Trail Rennen Born to Adapt] und anderen Projekten arbeite ich sieben Tage die Woche. 


Meagan, meine Frau, erinnert mich daran, dass ich mir nie freinehme. Aber das, was ich tue, gibt mir so viel, dass es sich nicht wie Arbeit anfühlt. 


Ich liebe alles rund ums Training. Es ist genauso alltäglich wie Zähneputzen. Eric und ich ziehen am selben Strang und ich kenne meine Workouts im Voraus. Alles basiert auf dem Plan. Ohne das Training geschieht nichts, und es beruhigt mich, dafür zu arbeiten. 

Meagan und ich leben in einer sehr abgelegenen, kleinen Gemeinde in Nordkalifornien. Wir sind weit weg von der Stadt und der Mainstream-Kultur. Wenn wir reisen, suche ich nach Orten, an denen ich auf der Bahn oder den Trails laufen kann – und diese Orte werden zu meinen Trainingshubs. Ich nutze Strava, eine App namens AllTrails und eine namens Gaia GPS. Mit diesen Kartensystemen kann ich überall hingehen. 

Ein Teil von Right to Run

Ich war Anfang des Jahres eine Woche in Ghana, beim On Right To Run Programm. Es ist ein wahr gewordener Traum, Teil der Bewegung zu sein, die mehr Bewusstsein und Inklusion für Athlet:innen mit Behinderung schafft. 

Right to Run unterstützt auch die Events von Born to Adapt, inklusive der Trail Rennen, bei denen Menschen ohne und mit Behinderung zusammen antreten. Meine Vision ist es, diese Events noch bekannter und Trail Running weltweit inklusiver zu machen. Ein Athlet, Victor «Slick Vic» Hernandez, sagte beim letzten Rennen: «Ich laufe nicht nur für mich, ich laufe für alle anderen.» Das verkörpert den Spirit dieser Rennen perfekt.

Hin zum Systemwandel

Ein grosser Teil meiner Vision von Born to Adapt besteht darin, die Hürden für Menschen mit Behinderung abzubauen. Sie sollen das erhalten, was sie brauchen, um die Welt auf unglaubliche Weise erleben zu können. 

Nehmen wir zum Beispiel eine Person mit Behinderung, die sich einer Laufgruppe anschliessen und sich mehr bewegen möchte, aber keine Rennen laufen will. Sie will nur Teil einer Gemeinschaft sein. In den USA decken Krankenversicherungen die Prothesen nicht ab. Wir müssen das Laufen für jene Menschen zugänglicher machen, die bislang zu wenig oder gar nicht berücksichtigt werden. 

Wir sprechen oft über die Elite der Behindertensportler:innen, aber da draussen gibt es viel mehr Läufer:innen aus unterrepräsentierten Gruppen als solche wie mich, die versuchen, die Cut-off-Zeiten im MCC zu unterbieten. Das ist eine grosse Herausforderung.

«Für Menschen mit Behinderung kann der Weg zu den Trails so schwierig sein wie der Aufstieg auf den Mont-Blanc.»

Ich spreche mit Freund:innen und Partner:innen in den USA darüber, wie wir politische Veränderungen herbeiführen können. Ich möchte erreichen, dass sich unsere Systeme und Organisationen weiterentwickeln. Da gibt es noch viel zu tun.

Cut-off-Zeiten überdenken

Born to Adapt ist ein Trail Rennen, das sich an Menschen mit Behinderung richtet und bei dem es eine inklusivere Teilnehmerbegrenzung gibt. Bei den meisten anderen Trail Rennen sind die Cut-off-Zeiten eine extreme Herausforderung, und beim UTMB sind sie sogar ziemlich aggressiv.

Das UTMB zielt auf Elite-Athlet:innen ab, aber es sollte auch Anpassungen bei den Cut-off-Zeiten für Sportler:innen mit Behinderung geben. Menschen mit und ohne Behinderung sollten ihren Platz haben. Das Rennen wäre dadurch nicht nur für eine Handvoll Athlet:innen weltweit, sondern auch für unterrepräsentierte Gruppen. 

Ich selbst trainiere jeden Tag, um die bestehenden Cut-off-Zeiten zu erreichen. Ich arbeite daran, die einzelnen Streckenabschnitte mindestens eine halbe Stunde schneller zu absolvieren als noch 2022.

Exklusiv: Mein Pacemaker beim UTMB

Hier verrate ich exklusiv, dass David Kilgore [On Trail Athlete Partnership Manager] mein Pacemaker beim MCC sein wird. 

«Es ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen, wenn Dave Kilgore mich über 42 km mit High Fives begleitet – wir werden einfach eine gute Zeit haben.»

Als ich erfahren habe, dass ich einen Pacemaker haben kann, sagte Dave sofort: «Ja Mann, ich glaube an dich. Wir machen das.» Er ist ein unglaublicher Athlet. Um ihn herum passieren magische Dinge.

Meine Vision für den Behindertensport, Wettkämpfe und UTMB

Dieses Jahr werden beim MCC mehr Athlet:innen mit Behinderung starten. Ich weiss, dass einige Sportler:innen mit Blades aus Frankreich anreisen werden. Ein weiterer Athlet kommt aus den USA.

Ich möchte nicht zu viel am UTMB verändern, aber ein Klassifizierungssystem wie bei den Paralympics würde das Rennen zugänglicher machen. Mein Beispiel ist jeweils der Paratriathlon: Es gibt fünf Kategorien, in die die Menschen eingeteilt werden. Ob jemand Läufer:in mit Oberschenkelprothese, Läufer:in mit Sehbehinderung oder anderweitig als Läufer:in beeinträchtigt ist, ist egal – alle können sich klassifizieren und am Rennen ihrer Kategorie antreten.

Läufer:innen können also die eigene Kategorie gewinnen. Ich träume davon, dass dieses System in den nächsten fünf Jahren eingeführt wird. Damit würden mehr Sportler:innen mit Behinderung neben Grössen wie Kilian, François [D'Haene], Courtney [Dauwalter] und anderen Eliteläufer:innen des UTMB gefeiert werden.

Ich bin zuversichtlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und ich werde nicht aufhören, bei UTMB-Events für die weiteren Schritte anzutreten. Auf zum MCC. Denn egal, wie viel wir schon erreicht haben: Ich habe noch immer das Gefühl, dass ich gerade erst anfange.