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Martin Schulz: «Man darf sich keine Schwächen leisten»

Martin Schulz holt 2016 und 2021 Gold im Paratriathlon. Seitdem konnte er den Parasport und auch sich selbst kräftig vorantreiben. Vor dem wichtigsten Rennen der Saison erklärt er, wie.

Text von Robert Birnbaum. Fotos von Daniel Vazquez.

[September 2024: Martin Schulz holt Bronze in der PTS5 Kategorie beim Triathlon der Paralympischen Spiele mit einer Zeit von 59:19].

«Ich muss mich einfach ein bisschen mehr anstrengen. Dann werde ich vielleicht auch besser als die Anderen.» 


Martin Schulz kam ohne linken Unterarm auf die Welt. 


«Ich hab mich als Kind schon gerne bewegt. Trotz meines Handicaps war ich im Sportunterricht immer einer der Besten. Wenn ich mal irgendwas nicht konnte, hab ich nie mein Handicap als Grund dafür gesehen.» Damals wusste er noch nicht, dass ihn genau diese Einstellung zum wohl erfolgreichsten Paratriathleten der Welt machen würde. 


Heute schmücken zwei Goldmedaillen bei den Paralympischen Spielen, vier Weltmeistertitel und elf Europameistertitel die Medaillensammlung des Deutschen Paratriathleten – und er sammelt fleissig weiter Edelmetall. Angefangen hat Martins sportliche Karriere aber nicht im Triathlon, sondern im Schwimmbecken.


«Meine Eltern wollten, dass ich früh lerne, mit meiner Einschränkung sicher zu sein, deshalb war ich schon mit fünf Jahren im Schwimmkurs. Ich war der erste der Gruppe, der schwimmen konnte. Die damalige Schwimmlehrerin erkannte mein Talent und bald schwamm ich schon bei kleineren regionalen und überregionalen Wettkämpfen.»

Martins Weg im Sport folgte anfangs keinen ambitionierten Zielen. Wer ihn schwimmen sah, wusste jedoch schnell, dass das nicht ewig so bleiben würde.

«Wenn ich mal irgendwas nicht konnte, hab ich nie mein Handicap als Grund dafür gesehen.»


«Der Gedanke war damals nicht, das mal auf Leistungssportniveau zu machen. Meine Eltern wollten einfach, dass ich mich bewege und schwimmen soll ja gesund sein. Irgendwann kam ich mit dem Parasport in Kontakt und so ging es vom Landeskader bis zur Jugendnationalmannschaft. Mit 14 Jahren wechselte ich ans Sportgymnasium und mein Weg begann – übers Schwimmen zu den Paralympics.»

2012 war es dann soweit und Martin repräsentierte Deutschland als Schwimmer in London. Sportlich gesehen bezeichnet er seine Erfahrung als «nicht extrem erfolgreich, aber trotzdem ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.» 


«Ich hab viele Jahre dafür gekämpft, dass ich es dorthin schaffe. Ich war dort aber einfach überfordert.

Das Event war riesig und die Stadien waren rappelvoll. Ich bin da ein wenig an meiner Unerfahrenheit und meinen grossen Ambitionen gescheitert.»


Seinen Fokus richtete er schnell auf die Zukunft. Denn: Triathlon wurde ab 2016 paralympisch. Und auch wenn Martins Training voll und ganz dem Schwimmen gewidmet war, nahm Triathlon schon lange einen besonderen Platz in seinem Herzen ein. 


«Mit 14 nahm mich mein Onkel spontan zu seinem letzten Triathlon mit. Er dachte, ich komme nur zum Zuschauen, aber als er mich dann am Sonntagmorgen abholen wollte, stand ich mit meinem Fahrrad vor der Tür und wollte mitmachen. Mit unpassender Ausrüstung und fehlendem linken Unterarm hab ich dort meine Altersklasse gewonnen und man wurde auf mich aufmerksam.»

Als feststand, dass Triathlon paralympisch wird, wollte Martin «einfach mal schauen, wo ich stehe.» Ohne spezifisches Training, aber mit einem aussergewöhnlichen Leistungspotenzial trat er bei den Europameisterschaften an. Ergebnis: Gold. Aber trotz der frühen Erfolge war der Wechsel vom Schwimmen zum Triathlon keine einfache Entscheidung. 


«Ich hatte extrem viel in den Schwimmsport investiert, es war aber die richtige Entscheidung, in den Triathlon einzusteigen. Ich hatte einfach mehr Talent und Leidenschaft dafür. Ich wollte immer in allen Sportarten, in allen Disziplinen gut sein. Da bietet sich eine Sportart mit drei Disziplinen gut an. Ich war von Anfang an besser auf dem Rad als manche, die schon deutlich mehr Kilometer auf dem Konto hatten. Das Talent und der Motor waren schon da, der musste jetzt nur etwas für den Triathlon ökonomisiert werden.»


Martins Erfolge im Paratriathlon blieben nicht unbemerkt. Obwohl er ohne linken Unterarm einen gewissen Nachteil gegenüber seinen Konkurrenten in der deutschen Triathlon-Bundesliga hatte, brachte er Leistungen, mit denen er seinem Team zum Aufstieg in die erste Liga verhalf. 


«Ich bin jahrelang in der Triathlon Bundesliga gestartet und war da meistens im Mittelfeld unterwegs – zum Ärgernis vieler Triathleten, die von ihren Trainer*innen aufgezogen wurden, wenn ich sie mal wieder im Schwimmen abgezogen hatte. Neben Training bedarf es schon ein bisschen Talent, damit ich trotz meiner Einschränkung da mitmischen kann.» 

«Ich wollte immer in allen Sportarten, in allen Disziplinen gut sein.»

«Ich hatte von Anfang an gute physiologische Werte für den Ausdauersport. Dazu bring ich einen akribischen Willen fürs Training mit. Dafür, mich immer weiterzuentwickeln und herauszufinden, an welchen Stellschrauben ich noch drehen kann. Aber ich will auch nicht einfach blind drauflos trainieren. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Details, die am Ende den Unterschied machen.»


Trotz hoher Grundlagenausdauer war Martins Transformation vom Schwimmer zum Triathleten noch nicht abgeschlossen. Er erinnert sich an den stufenweisen Prozess, der seine Leistung bei den drei Disziplinen ausgleichen sollte. 


«Besonders am Anfang musste ich vor allem am Laufen arbeiten. Gleichzeitig hat mein Körper einfach noch Zeit gebraucht, um sich auf diese Belastung anzupassen. Da hab ich mich verstärkt auf das Radfahren und Schwimmen konzentriert. Heute versuche ich an allen drei Disziplinen gleich akribisch zu arbeiten. An den Schwächen muss man am meisten feilen, auch wenn das nicht immer leicht ist.» 


Als Paratriathlet über die Sprintdistanz schwimmt Martin erst 750 m km, bevor er sich nass aufs Rad schwingt und eine 20-km-Radstrecke absolviert. Dabei muss er Energie für einen rasanten 5-km-Lauf aufheben, ohne den Anschluss an die Spitze zu verlieren. 


«Manche Spezialist*innen aus anderen Sportarten belächeln uns teilweise, weil wir alles gefühlt nur halbgut machen. Man muss aber immer aufs Gesamtbild schauen. Als Triathlet kann ich nicht bei allen Disziplinen aus vollem Rohr schiessen. Man darf sich bei keiner Disziplin eine Schwäche leisten, aber das Rennen wird am Ende beim Laufen entschieden.»


Wenige wissen das besser als Martin, der als begabter Radfahrer mit Schwimmhintergrund oft als erster vom Rad steigt. Auf diesen Puffer kann er sich mittlerweile aber nicht mehr verlassen, um hochkarätige Rennen für sich zu entscheiden. Muss er aber auch nicht, wie Martin erklärt.

«Man darf sich bei keiner Disziplin eine Schwäche leisten, aber das Rennen wird am Ende beim Laufen entschieden.»


«Meine Konkurrenz hat beim Schwimmen und Radfahren aufgeholt. Ich hab aber beim Laufen einen draufgelegt. Ich bin in letzter Zeit oftmals ohne Riesenpuffer vom Rad gestiegen und konnte das Rennen trotzdem beim Lauf für mich entscheiden.» Das Geheimrezept für seine Lauferfolge: Konstanz. Und Konzentration aufs Wesentliche.

«Ich hab über die Jahre kontinuierlich die Umfänge und Intensitäten im Lauftraining gesteigert. Man kann deutlich mehr Trainingsstunden auf dem Fahrrad und im Wasser absolvieren, weil es nicht so belastend ist wie das Laufen. Beim Training konzentriere ich mich darauf, was mich weiterbringt – ohne zu schauen, was die anderen machen.»


Während Martins Fokus auf sich selbst gerichtet ist, blickt die Welt des Paratriathlons seit Jahren erwartungsvoll auf den 34-Jährigen. 

«Vor Rio war ich schon dreimal Weltmeister. Alle erwarteten, dass ich Gold hole. Dieser Druck macht etwas mit einem. Für mich gab es nur Plan A – alle anderen hatten die gleiche Erwartung. Unter solchem Druck kann man wachsen. Es kann einen aber auch unheimlich belasten.»


«Ich konzentriere mich darauf, was mich weiterbringt – ohne zu schauen, was die anderen machen.»


Neben dem Erwartungsdruck musste Martin vor allem den Alltag als Parasportler bewältigen. Im Vergleich zu Athlet*innen ohne Handicap konnte er sich auf spürbar weniger Rückhalt durch den Verband verlassen. Zeitgleich mit seinem quasi Vollzeitjob als Athlet schloss er nach dem Abitur auch eine kaufmännische Ausbildung ab. 

«Das war eine krasse Doppelbelastung. Durch den Sieg in Rio hatte ich mir erhofft, dass [die Förderung] besser wird. Dass ich vielleicht die Chance bekomme, mich nur auf den Sport zu konzentrieren. Nach den Spielen wurden aber erstmal alle Förderungen eingestampft und mein befristeter Arbeitsvertrag lief aus. Ich war frustriert und wusste nicht, wie es weitergehen soll. Meinen Frust hab ich öffentlich gemacht und die Unterschiede zwischen der olympischen und paralympischen Förderung aufgezeigt. Viele Athleten ohne Handicap sind über klassische Sportfördergruppen wie die Polizei oder Bundeswehr abgesichert. Das geht im Parasport nicht. Es wurde aber auch immer mehr Leistung verlangt. Es war meine Aufgabe, das ganze publik zu machen.»

«Es hat sich dann auch viel getan. Nach eineinhalb Jahren, in denen ich noch halbtags arbeiten musste, hab ich endlich eine Anstellung bekommen und war Vollprofi. Ich konnte mich voll und ganz auf den Triathlon vorbereiten, ohne dass ich mein Leben neben dem Sport vernachlässigen muss. Man liebt den Sport und investiert viel, aber wenn es irgendwann zur Belastung wird und das private Umfeld darunter leidet, kann man auch keine Höchstleistungen mehr bringen.»

Martin bringt den Stein ins Rollen. Für eine bessere Förderung und Anerkennung im Parasport, die auch nach den Spielen anhält. Er gibt sich zuversichtlich über die aktuellen Entwicklungen, sieht aber weiterhin Chancen, wie der Parasport wachsen kann. Nicht nur um des Parasports Willen, sondern für die Athlet*innen, die ihn brauchen, um ihr sportliches Potenzial zu entfalten.

«Die Förderung und mediale Aufmerksamkeit sind auf einem guten Weg – ich glaube aber, es ist noch viel mehr möglich. Der Parasport gehört viel mehr in den Vordergrund. Es braucht viel mehr Aufmerksamkeit dafür, was alles möglich ist. Was gibt es für Parapsportarten? Wer kann da teilnehmen? Es muss ausserdem mehr Zugang für Kinder mit schweren Handicaps geben. Viele Sport- und Schwimmhallen sind nicht barrierefrei.»

Martins Tipp an Menschen mit Handicap, die mit dem Parasport anfangen wollen: 

«Am Anfang muss man etwas finden, woran man wirklich Spass hat. Dann wird aber sicher auch der Punkt kommen, an dem es nicht immer Spass macht. Da muss man unbedingt dran bleiben! Man darf sich nicht von Rückschlägen demotivieren lassen, die gehören einfach dazu. Und man sollte den Mut haben, unbequeme Schritte zu wagen.»

«Der Sport kann einem viel mehr zurückgeben, als er im ersten Moment zu nehmen scheint. Man lernt im Sport viel fürs Leben und über emotionale Reife, die man sonst im Leben nicht so erlernt. In Sportarten, bei denen man sich auch mal quälen muss, lernt man, was es heisst, sich gemeinsam irgendwo durchzukämpfen. Diejenigen, die aus ihren Rückschlägen lernen, werden am Ende erfolgreich sein.»

Erfolg misst Martin in diesem Sinne nicht nur über Medaillen und sportliche Erfolge. Er sieht, was Menschen mit Einschränkung in der Welt verändern und was die Welt von ihnen lernen kann. «Man verliert sich im Leben oft in kleinen Ausreden. Wenn man dann sieht, was manche trotz schwerer Einschränkungen machen. Dass nicht alles immer leicht ist. Es gibt Sportler*innen, die so viel mehr leisten als ich, um im Alltag alles zu wuppen. Da zieh ich meinen Hut. Davon könnten sich viele eine Scheibe abschneiden.»