

Craig Mottram, Australiens vierfacher Olympiasieger und Ex-Weltmeister, formt auf heimischem Boden die nächste Generation von Spitzensportler*innen.
Text von Laura Markwardt. Fotos von On.
«Sonderwunsch», sagt Craig Mottram nach der Hälfte unseres Calls. «Ich muss nur noch dieses eine erwischen, gib mir zwei Minuten.» Als Trainer des On Athletics Club (OAC) Oceania verpasst Mottram kein einziges Rennen.
Mottram sitzt in Melbourne, Australien, wo das Team zu Hause ist und trainiert. Etwa 853 km entfernt, in Bankstown bei Sydney, treffen sich einige der besten Mittelstreckenläufer*innen des Landes. Sie wollen beim NSW Milers die Norm über 1‘500 m knacken. Die Qualifikationszeit für die internationale Wettkampfbühne 2024 (3:33:50) liegt bei den Männern zum Greifen nah. Alle Augen sind auf die Uhr gerichtet.
«Einige unserer Athlet*innen machen mit, und einer hat es schon versucht», sagt er. Gemeint ist der OAC Oceania Athlet und ehemalige UNC-All-American Jesse Hunt.
Mottram hält ein blinkendes Handy an den Bildschirm. Sein Blick schiesst zwischen Handy und Laptop hin und her: «Ich habe es hier für den Live-Stream.» Hunt macht sich bereit.
Es ist 10.39 Uhr in London, 9.39 Uhr in Melbourne und Showtime in Sydney, als der Startschuss fällt.
Mottram wird laut. «Drei sind voran!» 100 Meter vor dem Ziel jagen sich die Athleten. «Ein absolutes Hammerrennen!»
Jesse Hunt wird knapp Zweiter. Er wird Teil des 3:33er-Clubs in einem Rennen voll neuer persönlicher Bestzeiten über 1‘500 m. Das Feld ist gross. Elf Athleten laufen unter 3:39.
«Jesse ist Zweiter geworden – 3:33 oder die Norm, verdammt! – Ich glaube, er hat die Norm um zwei Zehntel verpasst», sagt Mottram. Hunts Zeit war 3:33:64.
Mottram schaut zweimal auf die Uhr und schlägt im Takt. «Es ist fantastisch zu sehen, dass Jesse eine Bestzeit gelaufen ist. Aber sie [die Qualifikationszeit] um so viel zu verpassen …» Er hält Daumen und Zeigefinger nach oben, kaum voneinander getrennt. «Das ist der Moment, in dem ich am liebsten mit ihm in der Aufwärmzone stehen würde. Er wird sich freuen – das ist toll –, aber er wird sich auch ärgern, weil er wieder raus muss und es noch einmal versuchen.»
In diesem Moment scheint die Entfernung zwischen Melbourne und Sydney schmerzhaft gross. «Es tut mir leid, dass ich nicht dabei sein kann. Aber das ist eben die Herausforderung», sagt Mottram. «Als Trainer ist man 365 Tage im Jahr im Einsatz. Mit elf Athlet*innen, die an verschiedenen Orten antreten, kann man nicht überall sein, oder?»
Das ist eine rhetorische Frage. Wir wissen beide, dass es nur einen Craig 'Buster' Mottram gibt. Und der ehemalige Olympiateilnehmer, der 2005 WM-Bronze über 5‘000 m, 2006 Silber bei den Commonwealth Games und zweimal Gold im Weltcup über 3‘000 m gewann, war schon immer ein gefragter Mann.
2022 stellte sich Mottram seiner bisher grössten Herausforderung: Er übernahm den OAC Oceania, um die nächste Generation australischer Eliteläufer*innen dabei zu unterstützen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Im Februar 2023 ging das Team offiziell mit fünf Athlet*innen an den Start. Darunter der Olympionike Ben Buckingham («er ist fantastisch, der Star der Gruppe») und der junge Leichtathletik-Star Claudia Hollingsworth (eine hervorragende Zukunft»). Claudia unterschrieb mit nur 16 Jahren als erste Athletin für das Team.
«Unser ultimatives Ziel ist, das beste professionelle Laufteam der Welt aufzubauen – als Teil des sportlichen Ökosystems, das OAC weltweit aufbaut», sagt Mottram.
Vom ersten Tag an setzte er sich dafür ein, hochmoderne Trainingsanlagen zu schaffen. Diese Basis gab den Athlet*innen etwas Greifbares: eine Möglichkeit, die Ambitionen des OAC Oceania zu sehen, zu fühlen – und an sie zu glauben. Buchstäblich vom Fundament an.
Craig Mottram, Jesse Hunt
Claudia Hollingsworth
«Als ich diese Aufgabe übernahm, bauten wir als Erstes die Sporthalle, das Hauptquartier hier in Richmond, Melbourne», sagt er. «Von dieser Basis aus können wir mit den richtigen Leuten sprechen. Sie bekommen direkt einen Eindruck von dem, was wir tun – und von den grossen Zielen, die wir langfristig erreichen wollen.»
Die «richtigen Leute» für das OAC Oceania Team zu finden, sei eine «spannende Herausforderung». Neben bahnbrechenden Lebensläufen achtet Mottram auch auf Dinge abseits des sportlichen Potenzials: «Ja, du schaust, wie schnell sie gelaufen sind und wo sie auf bestimmten Plätzen gelandet sind. Aber wenn du Leute kennenlernst, bekommst du ein echtes Gefühl für ihre Persönlichkeit und ihren Drive. Es ist ein Bauchgefühl, das darauf basiert, was sie ins Team mitbringen werden.»
Die Renngeschwindigkeit jedes aufstrebenden OAC Oceania Stars erzählt eine eigene Geschichte. Nur wenige Wochen nach Hunts Lauf [Februar 2023] zeigten Hollingsworth und das «phänomenale Talent» Bendere Oboya bei den Canberra Track Classic starke Leistungen. Beide knackten die Qualifikationszeit über 800 m [jeweils 1:58,81 und 1:59,01]. Hollingsworth sicherte sich sogar den dritten Platz in der australischen Bestenliste über diese Distanz.
Durch harte Arbeit, holistische Regeneration und die passende Chemie zwischen Athlet*in und Trainer können Sekundenbruchteile gewonnen werden. Ein typisches Beispiel: Jesse Hunt kam von der University of North Carolina, wo er 3:37 über 1‘500 m lief. Seit seinem Umzug nach Melbourne hat er sich auf 3:33 verbessert. «Der Umzug nach Melbourne und das Training unter Craig waren entscheidend, um all die Arbeit, die ich in den letzten fünf Jahren geleistet habe, nutzen zu können», sagt Hunt den Hosts des Podcasts Inside Running. «Ich vertraue Craig, seiner Erfahrung und seinen Fähigkeiten.»
Hunt führt seine gesteigerte Form auch auf das Höhentraining mit OAC Oceania in Falls Creek im Nordosten Victorias zurück [1‘600 m über Meer]. Mottram bezeichnet Falls Creek als «einen meiner liebsten Trainingsorte der Welt».
Von links nach rechts: Maudie Skyring, Ben Buckingham, Claudia Hollingsworth, Craig Mottram, Tess Kirsopp-Cole
Vom idealen Umfeld für schnelle Zeiten und hohes Volumen profitieren auch die anderen OAC-Athlet*innen: der Olympiasieger über 3‘000 Meter, Ed Trippas, «einer der besten Hürdenläufer des Landes»; der 5‘000-Meter-Läufer Zach Facioni, die Mittelstreckenläuferinnen Maudie Skyring, Imogen Barrett, Tess Kirsopp-Cole – und der starke Neuzugang Peyton Craig, der im Januar 2024 den australischen U-20-Rekord über 800 Meter gebrochen hat.
«Peyton ist im gleichen Alter wie Claudia. Genau wie sie ist er super talentiert», sagt Mottram. Er vergleicht ihre gemeinsame Stärke in einem stark besetzten Mittelstreckenfeld mit einem «Monster mit zwei Köpfen». Sie als Teil des OAC Oceania zu haben, «in den Jahren vor der Leichtathletik-Saison 2028 und natürlich 2024 – das ist wirklich aufregend».
Mottrams Glaube, dass der OAC Oceania die Welt erobern wird, ist ansteckend. Und er entspringt einer Intuition, die durch jahrzehntelange Erfahrung, Trainings und Rennen an der Seite der Besten der Besten geprägt ist.
In den USA trainiert OAC Global unter der Leitung des dreimaligen Olympioniken Dathan Ritzenhein und Assistenz-Coach Kelsey Quinn. Das Team aus Colorado ist ein einflussreiches Beispiel dafür, was Talent, individuell erstellte Trainingspläne – und der Glaube an sich selbst – bewirken können.
Als Spitzensportler waren Ritzenhein und Mottram einst Konkurrenten. Ritzenhein beschrieb Mottram als «mental starken Läufer und ... formidablen Gegner». Heute, als OAC-Coaches, sind sie Gleichgesinnte.
«Dathan und ich hatten einige grossartige Rennen und Wettkämpfe», sagt Mottram. «Er hat beim Aufbau des amerikanischen OAC-Teams einen phänomenalen Job gemacht. Wir haben uns schon als Profis respektiert, aber das gilt jetzt noch mehr. Er hat uns bei dem, was wir hier vorhaben, sehr unterstützt.»
Wie beeinflussen die Geschichten aus Mottrams Vergangenheit als «formidabler Gegner» seinen heutigen Stil auf der Rennstrecke? «Ich glaube fest daran, dass du im Training das bekommst, was du hineinsteckst. Wenn du bereit bist zu arbeiten, wirst du gute Ergebnisse erzielen. Aber bei Rennen gibt es keine Höflichkeit und keine Rücksicht. Auf keinen Fall», sagt Mottram. «Du musst einfach reingehen und es versuchen.»
Es überrascht vielleicht nicht, dass Mottrams prägende Jahre von seinem rebellischen, angeborenen Selbstvertrauen definiert waren: «Ich hatte immer die innere Überzeugung, dass ich es schaffen kann, wenn ich laufen will. Wenn es in der Schule nicht so gut lief, sagte ich zu meinen Eltern: 'Macht euch keine Sorgen, ich gehe sowieso zu Olympia', und sie haben mit den Augen gerollt», lacht er.
Craig Mottram mit Bendere Oboya
Der OAC Oceania beim Training
Mottram macht vor allem deutlich, dass Laufen ein Verb ist – und Rennen eine Kunstform. Er ist nicht hier, um sich im Prozess zu verlieren. Er ist hier, um das Handwerk zu analysieren. «Wenn du dich nur auf das Laufen konzentrierst, verlernst du die Kunst des Rennens schnell», erklärt er.
«Es geht darum, dich gut zu positionieren und im passenden Moment strategisch zu laufen, um dich am Ende in die richtige Position zu bringen. Das ist eine Kunst, die du nur durch Repetition und Erfahrung beherrschen kannst.» Superschuhe, Pacing Lights, sportwissenschaftliche Daten: Sie können helfen, aber sie sind nicht die Kunst.
«Das kommt von Erfahrung, Entspannung, Konzentration und Vertrauen», so Mottram weiter. «Du gerätst nicht in Panik, sondern wartest auf den richtigen Moment. Die ruhigen Athlet*innen, die das können, begeistern mich. Ich vertraue darauf, dass sie auf jeden Fall ihr Bestes geben.»
Mottram ist an jedem Ergebnis auf jeder Ebene beteiligt: «Ich erlebe es genauso wie die Athlet*innen», sagt er. «Wenn das Team antritt, bin ich genauso nervös, und ich muss das elfmal pro Wettkampf machen. Sie müssen es nur einmal machen», lacht er. «Sie haben es wirklich leicht!»
Jeder dieser Wettkämpfe ist eine Übung in Mottrams «Kunst» auf einer Reise, die den OAC Oceania den grossen Outdoor-Saisons 2024, 2028 und schliesslich 2032 in Brisbane näher bringt: «Dieses Team muss mich überleben», sagt er.
Eine Erkenntnis, die den OAC Oceania auf ein anderes Level hieven soll: «Respektiere das Rennen», sagt Mottram. «Es geht immer um das Rennen.» Mottram lebt für das Rennen. Und er ist bei jedem dabei.