Hergestellt aus CO2-Emissionen: So entstand CleanCloud®
Von Rückschlägen und Heureka-Momenten, von Schadstoff-fressenden Bakterien und Actionfilmen. Das ist die Geschichte hinter unserem Schuh aus Kohlenstoffemissionen.
Die Geschichte hinter unserer CleanCloud®-Technologie klingt wie ein Science-Fiction-Blockbuster. Nur, dass das alles wirklich so passiert ist.
CleanCloud® wandelt Kohlenstoffemissionen in leistungsstarke Schuhe um. Wir kehren damit ein Narrativ um: Wir behandeln die schädlichen Gase nicht als Abfall, sondern als Ressource. Die Geschichte dahinter beginnt mit einer Frage des Innovationsteams von On: «Was wäre, wenn Kohlenstoffemissionen kein Umweltproblem, sondern Teil der Lösung wären?»
Viele Sätze bei On beginnen mit «Was wäre, wenn... ». Und 2018 haben wir begonnen, die Fragen zu stellen, die zu CleanCloud® geführt haben.
Für On ist das Projekt ein wichtiger Schritt weg von der Nutzung fossiler Brennstoffe. Echte Innovation bedeutet aber, neue Ufer anzusteuern. Und auf dem Weg dahin war die See stürmisch.
Einen Weg finden «Es war ein emotionales Projekt. Das intensivste, an dem ich je gearbeitet habe», sagt Nils Altrogge, Head of Technology Innovation bei On. «Es gab Zeiten, da hatte ich Tränen in den Augen. Ich war so frustriert», gibt er zu. «Aber wir haben nie aufgehört, daran zu glauben, dass wir Lösungen finden können. Am Tag nach den Tränen wachte ich jeweils auf, die Welt sah wieder besser aus und wir machten einfach weiter.»
Solche Herausforderungen gehören zum Arbeitsalltag von Nils. «Wenn Menschen ein Projekt beginnen, wollen sie oft an einer Lösung arbeiten», erklärt er. «Bei On arbeiten wir lieber auf ein Ziel hin und entdecken die Lösungen auf dem Weg dorthin. Nur so kannst du Pionier sein: Du musst mutig sein, Risiken eingehen und so zu Lösungen finden.»
Genau so ging das Team bei der Entwicklung von CleanCloud® vor. Das Projekt nahm seinen Anfang, als On's Co-Founder Caspar Coppetti eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen vorschlug, das Treibstoffe aus Kohlendioxid herstellt.
Die Abkehr von fossilen Rohstoffen – dem Ausgangspunkt fast aller Kunststoffe – war für uns bereits in vollem Gange. Cyclon, unser abonnierbarer und recycelbarer Schuh, besteht aus Bio-basierten Materialien. Die Frage war: Welche anderen Rohstoffe könnte das Team untersuchen? Jedes Material dieser Welt besteht aus Kohlenstoffatomen. Also gab es für Nils keinen Grund, sich nicht auf die Kohlenstoffemissionen zu stürzen.
Er teilte die Idee mit Jean-Philippe Romain, Head of Materials Science bei On. Jean-Philippe antwortete:
«Das ist ganz schön wild, aber... legen wir los.»
Das Team begann die Zusammenarbeit mit der Treibstofffirma, von der Caspar erzählt hatte. Doch nach einem Jahr gemeinsamer Arbeit an der Errichtung einer neuen Produktionsstätte gab es ein Problem.
«Wir konnten nur eine kleine Flasche an Rohmaterial gewinnen. Dieser Ansatz war einfach nicht skalierbar. Das Projekt war praktisch gestorben. Aber wir beschlossen, dass die Idee zu gut war, um sie zu beerdigen. Es musste einen anderen Weg geben.»
Das Team aufbauen
Das Projekt weiterzuführen hiess, wieder von vorne anzufangen. Das Team ist nicht auf Chemie spezialisiert. Aber sie versuchten, sich das nötige Wissen anzueignen, um eine Lösung zu finden – oder zumindest ein fachkundiges Gespräch mit den Expert*innen führen zu können, die den Weg weisen konnten.
On lud eine Gruppe von Biochemiker*innen aus Industrie und Wissenschaft ein, um die Herausforderungen des Projekts zu diskutieren. Alle möglichen Lösungen landeten auf einem Whiteboard.
«Es gab unglaubliche Vorschläge», erinnert sich Nils. «Eine davon war, Bakterien mithilfe der synthetischen Biologie zu programmieren. Sie sollten CO2 so umwandeln, dass genau das Material entsteht, das wir wollen. Das klingt unglaublich, ist aber wohl erst in etwa 50 Jahren realisierbar. Wir arbeiten natürlich mit kürzeren Timelines.»
«Unser Mantra lautet: entdecken, anwenden, skalieren – und dabei schnell sein. Uns wurde klar, dass wir für eine skalierbare Nutzung von Kohlenstoff als Rohstoff eine richtige Lieferkette benötigen. Eine solche Lieferkette gab es jedoch nicht. Um den Traum zu verwirklichen, mussten wir diese neue Lieferkette also selbst erschaffen.»
Davon unbeeindruckt nahm das On Team den Aufbau dieser neuen biochemischen Lieferkette in Angriff. Allein war das unmöglich. Also suchte es nach den richtigen Partnern.
Bei seinen Recherchen stiess Nils aufLanzaTech, ein Unternehmen, das sich auf das Recycling von Kohlenstoff spezialisiert hat. LanzaTech fängt konzentrierte Kohlenstoffemissionen aus industriellen Quellen ab, bevor sie in die Atmosphäre gelangen. Sie nutzen dann einen speziellen Bakterienstamm, der zuerst in Kaninchenkot (ja, Kaninchenkot) gefunden wurde. Dieser wandelt den Kohlenstoffabfall durch Fermentation in Ethanol um. Der Fermentationsprozess ähnelt im Wesentlichen dem einer konventionellen Brauerei, nur dass LanzaTech nicht Zucker und Hefe in Bier umwandelt, sondern Emissionen in Treibstoffe und Chemikalien.
Das Team von LanzaTech war schnell begeistert von der Idee, einen Schuh aus Kohlenstoff herzustellen. Das war ein grosser Schritt nach vorne. Als es LanzaTech gelang, Ethanol in grossem Massstab aus Kohlenstoffemissionen zu gewinnen, hatte das Team seine anfängliche Herausforderung überwunden. Und auch in anderen Bereichen wurden Fortschritte erzielt.
Frühere Gespräche mit Expert*innen führten zu einer Zusammenarbeit mit Borealis, einem führenden Anbieter fortschrittlicher, zirkulärer und erneuerbarer Kunststofflösungen.
Für die Herstellung von Hochleistungsprodukten, insbesondere für die Dämpfung von Laufschuhen, ist EVA (Ethylenvinylacetat) eines der am häufigsten verwendeten Materialien. Borealis war zuversichtlich, mit ihrem Polymerisationsverfahren im Labormassstab EVA (Ethylenvinylacetat) aus dem kohlenstoffbasierten Material herstellen zu können. Das On Team stand kurz davor, die neue Lieferkette zu schliessen. Doch ein entscheidendes Glied fehlte: Das von LanzaTech hergestellte flüssige Ethanol musste zu Ethylengas dehydriert werden, das ein Monomer ist (der kleinste Baustein bei der Kunststoffherstellung). Und es war nicht einfach, diese Lücke zu schliessen.
Wenn du dir ein Team vorstellst, das versucht, die Sportartikelindustrie durch Innovationen zu verändern, denkst du vielleicht an glänzende Labors, komplexe Präsentationen, leidenschaftliche Debatten und Tests auf dem Laufband. Und das gehört alles dazu. Für Nils ist es jedoch wichtig zu betonen, dass echte Innovation – das Erschaffen von etwas, das noch niemand zuvor getan hat – mehr mit Resilienz als mit Wissenschaft zu tun hat.
«Es ist mir gelungen, eine Liste möglicher Partner zu erhalten, die uns bei der Umwandlung von Ethanol in Ethylen helfen können. Und ich sass einfach da und telefonierte mit Leuten auf der ganzen Welt. Ich habe mit Labors in Russland, China und anderswo gesprochen, um das richtige zu finden – und immer wieder Absagen erhalten. Aus einer langen Liste wurden schliesslich zwei Kandidaten ausgewählt. Und es stellte sich heraus, dass einer von ihnen bereits mit LanzaTech zusammenarbeitete. Das war wie ein Zeichen.»
Dieser potenzielle Partner war Technip Energies (T.EN), der heute ein integraler Bestandteil des Prozesses von CleanCloud® ist. T.EN war darauf spezialisiert, Ethanol durch Dehydrierung in Ethylen umzuwandeln. Nils glaubte, dass ihre Technologie die Lieferkette schliessen könnte. Um auf der sicheren Seite zu sein, hätte jedoch eine komplett neue Pilotanlage gebaut werden müssen. Die Investitionen wären massiv gewesen. Zum Glück hat aber auch T.EN an das Potenzial des Projektes geglaubt. Die Pilotanlage war schnell einsatzbereit. Es wurde getestet, ob das flüssige Ethylengas, das aus dem Ethanol der Kohlenstoffemissionen gewonnen wird, rein genug ist, damit das Borealis-Team es zu Hochleistungs-EVA verarbeiten kann.
Nach zwei Monaten traf die erste Ethylenprobe ein. François-Xavier Dosne (genannt F-X), Head of Innovation Business Strategy bei On, erinnert sich noch gut daran.
«Zuerst hatten wir nur eine kleine Probe [Ethylen] zum Testen. Sie befand sich in einem kleinen Zylinder in einem schwarzen Koffer. Das Ganze sah aus wie etwas, das einem Bond-Bösewicht gehört. Und das Material ist hochexplosiv. Es war also irgendwie wirklich wie eine Bombe. Du kannst nur kleine Mengen auf einmal transportieren.»
«Das war ein spannender Teil des Prozesses, weil wir wirklich sicher sein mussten, dass das Material zu 100 % rein war. Wenn es in den Prozess eingebracht wird und die chemische Reaktion nicht wie geplant abläuft, könnte es explodieren. Als die Tests zeigten, dass die Qualität unseren Erwartungen entsprach, war endlich klar: Wir können mit dem nächsten Schritt beginnen.»
Der Moment der Wahrheit
Das Team von Borealis bestätigte, dass das Ethylen rein genug war, um EVA herzustellen. Der Produktionsprozess konnte beginnen. Ihr Werk war zum ersten Mal an der Herstellung von Schuhmaterialien beteiligt. Daher arbeitete das Borealis-Team bei den nächsten Schritten eng mit dem On Materialexperten Jean-Philippe Romain zusammen. Ein Teil der Anlage wurde für die Herstellung von EVA genutzt und der Prozess nur zum Abkühlen unterbrochen. Nach zehn Wochen entstanden kleine Kunststoffkügelchen: eine Weltneuheit. Es war das erste Material seiner Art, das aus Kohlenstoffemissionen hergestellt wurde.
Nachdem die neue Lieferkette komplett war, konnte sich das On Team darauf konzentrieren, den Traum vom Schuh aus Kohlenstoff wahr werden zu lassen. Es reiste mit einer kleinen, einzigartigen (und daher sehr wertvollen) Probe von EVA zu unserer Produktionsstätte in Vietnam, um etwas zu versuchen, was noch nie zuvor versucht worden war. Es wollte eine hochleistungsfähige Laufdämpfung aus Kohlenstoff herstellen.
«Ich hatte schon entspanntere Reisen», lächelt Nils. «Wir wussten, dass wir ein ganz besonderes Material im Handgepäck hatten. Dass die EVA-Kügelchen wie Diamanten aussehen, hat die Nerven bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen nicht gerade beruhigt. Es war eine lange Reise von der Schweiz nach Asien, aber ich glaube, ich habe überhaupt nicht geschlafen. Wir waren schon so weit gekommen. Es war nervenaufreibend, aber auch sehr spannend.»
Am Produktionsstandort Yusung in Vietnam teilten die Teams Nils' Begeisterung. Selbst für die Spezialist*innen für Schuhdämpfung war dies eine Premiere. Das Team in Yusung hatte sich monatelang darauf vorbereitet, dass diese ersten Tests – die Produktion von nur fünf Paar Schuhen – reibungslos verlaufen würden.
Nach den Laborversuchen vor Ort wurden die kohlenstoffbasierten Pellets in zwei Hälften geteilt, um sie in verschiedenen «Rezepturen» mit Elementen wie Treib- und Vernetzungsmitteln zu mischen. Diese sind für das Aufschäumen von EVA erforderlich. Das Team hatte nur zwei Versuche, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.
Nachdem das Material in die Maschine geladen wurde, die die Zwischensohlen (die Bestandteile der CloudTec® Dämpfung) herstellt, wartete das Team gespannt auf die Ergebnisse. Es trat eine gespannte Stille ein. Aber sie hielt nicht lange an.
«Als wir die erste CleanCloud®-Zwischensohle aus der Maschine kommen sahen, war die Euphorie gross», erinnert sich Nils. «Es war ein bewegender Moment, kaum ein Auge blieb trocken. Es sah nicht nur wie eine Zwischensohle aus, sondern auch die Qualität war wirklich sehr gut.»
Die Zwischensohle wurde auf ein Förderband gelegt, um zusammen mit konventionellen Zwischensohlen ausgehärtet zu werden. Das Team lief durch die Anlage und wagte es nicht, die Augen von diesem ersten wertvollen Proof of Concepts abzuwenden.
Auf dem Weg in eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe
Nach dem Aushärtungsprozess wurden die Zwischensohlen zu unserem Partner Pro Well gebracht, wo sie zum Cloudprime zusammengesetzt wurden. Das ist der erste CleanCloud® Schuh, bei dem jedes einzelne Element auf seine Umweltverträglichkeit geprüft wurde. Der Cloudprime ist ein Proof of Concept und kombiniert einige der fortschrittlichsten und nachhaltigsten Materialien der Welt.
Wie die Zwischensohle wird auch das für das Obermaterial verwendete Polyester aus CO2-Emissionen hergestellt – das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem französischen Start-upFairbrics. Das versteckte Speedboard®, das dem Cloudprime sein agiles Laufgefühl verleiht, besteht aus einem Material, das aus Rizinussamen gewonnen und für das Laufen auf Asphalt entwickelt wurde. Die Sohle des Schuhs ist das Ergebnis einer Partnerschaft mit dem Chemie-Start-up Novoloop, das Hochleistungsmaterialien aus 32 % Post-Consumer-Kunststoffabfällen herstellt.
Der Cloudprime befindet sich noch in der Entwicklung und du kannst ihn (noch) nicht kaufen. Die ersten Paare werden aktuell von Spitzensportler*innen auf Herz und Nieren getestet, darunter der Schweizer Marathon-Rekordhalter Tadesse Abraham und die deutsche 1500m-Spezialistin Fabiane Meyer.
«Ich habe es wirklich genossen, mit dem CleanCloud® Schuh zu laufen – besonders als ich erfuhr, dass er aus Kohlenstoffemissionen hergestellt wurde», sagt Fabiane. «Ich dachte, der Schuh wäre vielleicht nicht so gut wie die anderen On Schuhe, weil das Material nachhaltig ist. Aber er ist super: Er fühlt sich bequem an, gibt ausreichend Halt und lässt mich mühelos laufen. Das ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung für unsere Zukunft.»
Für das Projektteam ist dieses Feedback eine Bestätigung. Es hatte sich entschieden, das Projekt weiterzuführen, als andere vermutlich einen Rückzieher gemacht hätten. Das Team ist sich aber bewusst, dass die Reise noch nicht zu Ende ist.
«Den weltweit ersten Schuh aus Kohlenstoffemissionen in den Händen zu halten, ist ein wichtiger Meilenstein – nicht nur für On, sondern für die gesamte Sportbranche», sagt Caspar Coppetti.
«Vor fünf Jahren wagten wir kaum, davon zu träumen. Stell dir vor, was in Zukunft passieren kann, wenn wir das Potenzial alternativer Kohlenstoffquellen mithilfe der besten Forscher*innen und Partner*innen erschliessen.»
«Unser Ziel ist es, die CleanCloud® Technologie in naher Zukunft so vielen Konsument*innen wie möglich zugänglich zu machen.»
Nils betont, dass das Projekt noch lange nicht abgeschlossen ist:
«Die Herstellung von fünf Paaren des Cloudprime war ein unglaublicher Erfolg. Aber wir wollen fünf Millionen – und mehr. Auf dem Weg dorthin wird es noch weitere Herausforderungen geben. Aber das CleanCloud® Projekt hat uns gezeigt, dass alles möglich ist – wenn du den Status quo ständig in Frage stellst, nicht aufgibst und das richtige Team mit der richtigen Einstellung hast.»
«Wir träumen davon, unsere Industrie zu dekarbonisieren. Und das hier ist erst der Anfang.»