

In einer Welt voller ähnlicher Rennen sind die 100 Meilen der Barkley Marathons eine Herausforderung, der sich nur die härtesten Trail Runner der Welt stellen können. Karel Sabbe ist einer davon.
Text von Micah Ling. Fotos von David Miller.
«Ich kann bestätigen, dass die Barkley Marathons das härteste Rennen sind, das es gibt», sagt Karel Sabbe, On's belgischer Ultra Trail Runner.
Sabbe war 2023 einer von nur drei Startenden, die das Rennen absolvierten. Damit reihte er sich [2023] als 17. bei den Läufer*innen ein, die den legendären Lauf auf dem unmarkierten Rundkurs seit dem ersten Rennen 2023 in unter 1986 Stunden bewältigt haben – ein Kunststück, das als nahezu unmöglich galt. [Im März 2024 ist die Anzahl der erfolgreichen Finisher*innen auf 20 gestiegen.]
Der ebenso gefürchtete wie verehrte Ultra Run Barkley Marathons findet jeden Frühling im Frozen Head State Park, Tennessee, USA, statt. Er wurde zunächst auf einer grob skizzierten Strecke über 50 Meilen ausgetragen. 1989 wurde die Strecke auf 100 Meilen verdoppelt. Der Verlauf ändert sich jedes Jahr, und obwohl er als fünf Schleifen à 20 Meilen verbucht wird, ist er in der Regel länger, als man es erwartet.
«Viele Menschen kennen die Geschichte der Barkley Marathons», sagt Sabbe. «Und deshalb sind sie von ihnen besessen.» Selbst für die erfahrensten Trail Runner*innen – und begeisterte Fans – haben die Barkley Marathons eine sonderbare Anziehungskraft, obwohl die meisten Läufer*innen so gut wie sicher ausscheiden.
Die Strecke umfasst insgesamt 16‘500 m Auf- und Abstieg. Raues Wetter und schnell wechselnde Bedingungen – von Schlamm über Regen und Nebel bis hin zu Temperaturen unter dem Gefrierpunkt – machen einen Teil des etwas anderen Charmes aus.
Gegründet wurde Barkley von Gary «Lazarus Lake» Cantrell, einer der legendärsten Figuren des Ultra Runnings. Bevor Ultramarathons zum sportlichen Mainstream wurden, lief Cantrell enorme Strecken, die er einfach zum Spass zusammenstellte. Zusammen mit Karl «Raw Dog» Henn schuf er die Barkleys-Route, nachdem die beiden die Geschichte der Flucht von James Earl Ray, dem verurteilten Mörder von Martin Luther King Jr., aus dem Brushy Mountain State Penitentiary im Jahr 1977, gehört hatten.
Als er 54 Stunden nach seiner Flucht gefasst wurde, hatte Ray nur etwa 12 Meilen (19 km) zurückgelegt. Cantrell schätzte, dass Ray in dieser Zeit mindestens 100 Meilen Entfernung vom Gefängnis hätte zurücklegen können. Fasziniert vom wilden Gelände, das einen verzweifelten Ausbrecher daran hindern kann, Boden gutzumachen, war das Konzept des Rennens geboren. Auch heute noch führt die Strecke durch oder in die Nähe des inzwischen geschlossenen Gefängnisses.
Den Barkley-Rundkurs als Laufstrecke im herkömmlichen Sinne zu bezeichnen, erfordert ein hohes Mass an Fantasie. Die Runden sind nicht markiert, sie verlaufen abseits echter Wege, es gibt keine Verpflegungsstationen und die Regeln besagen, dass die Läufer*innen keine elektronischen Geräte oder GPS dabeihaben dürfen.
Das Startfeld ist auf 35 Läufer*innen begrenzt. Das macht nur schon die Zulassung zum Rennen zu einer Herkulesaufgabe. Die Läufer*innen müssen einen Essay schreiben, warum sie am Rennen teilnehmen sollten, und eine Anmeldegebühr von 1,60 US-Dollar entrichten. Die einzigen zusätzlichen Kosten für die Teilnehmenden sind das, was Cantrell in diesem Jahr braucht – wahrscheinlich ein Flanellhemd oder neue Socken.
In anderen Worten: Bei diesem Rennen ist nichts vorhersehbar. Und deshalb ist Karel in den fast drei Jahrzehnten, in denen das Rennen über 100-plus-Meilen gelaufen wird, nur einer von 17 Finisher*innen.
«Ich mache mir viele Gedanken über das Rennen und wie ich es schaffen kann», sagt Sabbe. «Es ist einzigartig und kreiert eine inspirierende Geschichte – eine herausfordernde und inspirierende Geschichte.»
Sabbes Erfolg bei den Barkleys 2023 ist gewissermassen eine doppelte Auszeichnung. Er hält die «langsamste Endzeit», das heisst, dass er der Cutoff-Zeit von 60 Stunden am nächsten kam, ohne sie zu überschreiten. Seine Zeit: 59:53:33.
Sabbes Motivation, die Barkley Marathons zu laufen, entsprang seiner Neugier. Nachdem er bereits 2016 und 2023 Geschwindigkeitsrekorde auf dem Pacific Crest Trail (PCT) und 2018 auf dem Appalachian Trail aufgestellt hatte, dachte er, dass die Barkleys eine weitere ungewöhnliche Herausforderung sein könnten: «Es fühlte sich an wie etwas, das ganz natürlich zu der Art von Abenteuer passt, die ich suche», sagt er.
«Barkley hat den Charme längerer FKT-Versuche (Fastest Known Time, schnellste bekannte Zeit), aber es ist komprimierter, in 60 Stunden. Du hast die gleichen Herausforderungen. Du musst Grenzen überschreiten. Und ich wusste, dass Leute mit einer starken FKT-Geschichte [bei den Barkley Marathons] gut abschneiden.
Anstelle von Glückwünschen zur Aufnahme ans Rennen schickt Cantrell Kondolenzbriefe. «Ich hatte etwas Hilfe von anderen, die FKT-Versuche am PCT gemacht hatten. Sie haben mich bei meinem Essay und dem Bewerbungsverfahren unterstützt. Ich bin allen, die mir geholfen haben, sehr dankbar.» Sabbe erhielt seinen Kondolenzbrief nur sechs Wochen vor dem Rennen 2023.
Im lokalen Slang werden Barkleys-Debütierende als «Jungfrauen» bezeichnet. Und wenn du es beim ersten Mal geschafft hast, ist es leichter, ein zweites Mal zugelassen zu werden. Glücklicherweise wurde Sabbe ein drittes Mal zugelassen, nachdem er in den Jahren 2019 und 2022 den «Last Man Standing»-Rekord aufgestellt hatte. Es waren zwei Jahre, in denen niemand das Rennen beendete.
Sabbe empfand die Atmosphäre auf der Strecke als sehr angenehm: «Es war nur eine kleine Crew erlaubt, es gab nicht viele Medien und niemanden auf der Route. Es war einfach eine gemütliche Atmosphäre mit interessanten und super netten Leuten. Ich habe mich von Anfang an wohl und zu Hause gefühlt.»
Es gibt kein Patentrezept, um sich für die Teilnahme zu qualifizieren, aber Erfahrung mit FKTs und langen, anspruchsvollen Ultra Runs hilft auf jeden Fall. «Gary ist immer auf der Suche nach Leuten, die das Rennen beenden können. Er weiss, dass viele der Finisher*innen Rekordhalter*innen auf dem PCT oder dem Colorado Trail sind», sagt Sabbe. «Er wusste von meinem Lebenslauf, dass ich zu den Athlet*innen gehöre, die es schaffen können, und wir haben uns von Anfang an gut verstanden.»
Das Rennen kann jederzeit innerhalb eines Zeitfensters von 24 Stunden beginnen. Die Läufer*innen versammeln sich im Camp und warten. Cantrell bläst in ein Muschelhorn und die Läufer*innen haben eine Stunde Zeit, sich an der Startlinie einzufinden. Cantrell zündet eine feierliche Zigarette an, der Startschuss nach Barkley-Art, und das Rennen beginnt. Manchmal wird das Horn um 2 Uhr morgens geblasen. Manchmal um 12 Uhr mittags.
Bei der Ausgabe 2023 begann das Rennen bereits um 10 Uhr morgens. «Ich habe die Nacht davor nicht gut geschlafen», sagt Sabbe, «am Ende des Rennens war ich über 70 Stunden wach.»
Wenn Sabbe tief in der Höhle des Schmerzes ist und arbeitet, um zu überleben und effizient zu sein, treiben ihn seine Gedanken weiter an.
«Mitten in der Nacht, wenn du acht Stunden im Dunkeln gelaufen bist, hast du Gedanken wie 'Ich fühle mich nicht gut', aber ich würde es nicht Angst nennen. Du bist einfach so konzentriert. Es ist wahrscheinlich vergleichbar mit Freeclimber*innen, die etwas Gefährliches tun, aber konzentriert sind und das Gefühl haben, dass nichts [Schlimmes] passieren wird. Ich habe das gleiche Gefühl. Ich denke einfach: 'Mir geht es gut, es wird nichts passieren'.»
Wenn dann suboptimale Bedingungen und Schlafentzug auf einer ohnehin schon wilden Route hinzukommen, kann es etwas seltsam werden. Aber Sabbe schläft am liebsten immer nur ein paar Minuten und nie dann, wenn er das Gefühl hat, dass er sich völlig entspannen kann. «Ich schlafe nicht im Camp. Ich glaube, das ist Zeitverschwendung, weil es dort zu gemütlich ist. Ausserdem bist du ein bisschen aufgewühlt, wenn du wieder ins Camp kommst, weil du wieder eine Runde geschafft hast, und dann dauert es zu lange, bis du zur Ruhe kommst und schlafen kannst.» Sabbe rollt sich lieber draussen auf der Strecke fünf Minuten lang zusammen und lässt sich von den Elementen wecken.
Im Jahr 2023 verliefen die ersten drei Schleifen für Sabbe nach Plan. «Es lief ganz gut, aber in Barkley wird immer etwas passieren.» Später im Rennen erlitt er eine Dehydrierung und fiel in einen eiskalten Fluss. «Da draussen gibt es nichts umsonst, aber ich habe weitergemacht. Unter anderem wegen meiner früheren Erfahrungen hatte ich genug Motivation und Energie, um so hart wie möglich zu bleiben.»
«Die fünfte und letzte Schleife ist immer die schwierigste», sagt Sabbe. «Du hast so lange nicht richtig geschlafen und bist auf dich allein gestellt. Wenn in der letzten Runde noch mehrere Athlet*innen auf der Strecke sind, werden sie in entgegengesetzte Richtungen geschickt, damit sie sich nicht gegenseitig helfen können. Es wird sehr unübersichtlich und ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich es ohne grössere Probleme ins Ziel geschafft habe.»
Vor seinem dritten Versuch hatte Sabbe die Einstellung: «Das war's» – das letzte Mal, dass er es in Barkley versuchen würde. «Ich bin zweimal gescheitert. Daraus habe ich viel gelernt. Ich habe das Rennen [2023] mit fast sechs Minuten Vorsprung beendet», sagt er. «Barkley hat mir viel mehr gegeben, als ich bei meiner ersten Anmeldung erwartet hatte. Ich bin froh, dass ich das Kapitel als 17. Finisher abschliessen konnte. Ich fühle keinen Drang mehr, zurückzukehren.»
Nur zweieinhalb Monate nach Barkley holte sich Sabbe auf dem Pacific Crest Trail mit 46 Tagen, 12 Stunden und 50 Minuten seinen Geschwindigkeitsrekord über 4.265 km (2.650 Meilen) zurück.
«2023 war ein wirklich grosses Jahr», sagt er. «Ich musste mich sehr anstrengen, um bei beiden [Barkley und PCT FKT] gut abzuschneiden. Ich habe den Rekord aufgestellt und Barkley beendet, also werde ich 2024 keine Rennen mehr laufen.»
Doch Sabbe hat die Laufschuhe noch lange nicht an den Nagel gehängt und denkt bereits an das Jahr 2025. «Mein erstes grosses Projekt wird es sein, ganz Neuseeland zu durchqueren – über 2.000 Meilen. Die Strecke ist wunderschön.»